Denken – Fühlen – Lernen
Von der Gehirnforschung zu einem ganzheitlichen Lernverständnis

Iwan Petrowitsch Pawlow und das Reiz-Reaktions-Modell

Die Erforschung des Bewusstseins stellte im 19. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Reform dar, der sich erstmals Iwan Michailowitsch Setschenow in seinen Arbeiten „Reflexe des Gehirns“ (1863) und „Elemente des Denkens“ (überarbeitet 1903) widmete, Schriften, die die spätere Forschung Iwan Petrowitsch Pawlows über die Gehirnleistungen maßgeblich beeinflussten.

„Ich glaube aber, daß für mich der wesentliche, wenn damals auch noch unbewußte Anlaß zum Studium des Hundes, des nächsten und treuesten Gefährten des Menschen seit vorgeschichtlicher Zeit, der Einfluß von Setschenows talentvoller Broschüre ,Reflexe des Gehirns‘ (1863) gewesen ist. Ich habe ihn bereits in jungen Jahren erfahren. Besonders in der Jugend wirkt ein solcher Einfluß durch seine gewaltige Neuartigkeit und die Wirklichkeitstreue des Gedankens unerhört tief, anhaltend und, das muß man hinzufügen, häufig auch ganz verborgen. In dieser Broschüre wurde in überaus glänzender Form der für jene Zeit wahrhaft ungewöhnliche Versuch unternommen (selbstverständlich theoretisch, als physiologisches Schema), sich unsere subjektive Welt rein physiologisch vorzustellen.“

(Iwan Petrowitsch Pawlow)

Ganz im Zeichen dieses neu entstehenden analytischen Zeitgeistes wurden die Ergründung der Gehirntätigkeiten und die Anfänge der behavioristischen Lerntheorie sein Lebenswerk, das weit über seine frühen Veröffentlichungen über das Reiz-Reaktions-Modell wie „Der bedingte Reflex“ hinausgeht.

Lernen als Automatismus

In der pawlowschen Zeit wurden als Ziele der Erziehung und Ausbildung vor allem das Einfügen in die Gesellschaft und die Vermittlung von Wissen angesehen. Führung war autoritär geprägt, Kompetenz wurde statisch als Summe aus Wissen, Können und Erfahrung definiert. Nicht von Ungefähr war auswendiges Rezitieren eine verbreitete Lernaufgabe, die die damals Heranwachsenden durch ihre Schulzeit begleitete. Und wenn Lernen als Reaktion auf Reize verstanden wird, verspricht eine weit gefasste Reizpalette große Lernerfolge. Als logische Konsequenz gehörten auch negative Reize zum zeitgemäßen Erziehungskonzept und beschränkten sich keinesfalls auf emotionale Demotivation wie das In-die-Ecke-Stellen und ritualisierte körperliche Maßregelungen wie Stockschläge. Nationalsozialistische Erziehungsratgebern empfahlen sogar explizit das Abhärten arischen Nachwuchses durch Stromimpulse. Während diese Schriften – Gott sei dank! – lediglich noch zur Beleuchtung der Historie von Bedeutung sind, erinnert der Volksmund durch Aphorismen wie „Indianer weinen nicht.“ noch an diese Haltung.

Der Verdienst der frühen Kynologen war es, auf den Erkenntnissen der Gehirnforschung ihre Ausbildungsmethoden zu begründen und erstmals erklärend darzulegen. Ihre Äquivalente des (Auswendig-) Lernens durch wiederholte, absichtlich gesetzte Sinnesreize (Konrad Most), des Verleidens durch einmalige Starkzwänge – durch „die Schrotladung von hinten und im Wiederholungsfall die Kugel von vorn“ (Oberländer) – und des Einsatzes von Elektroschockgeräten sind, aus diesem historischen Blickwinkel betrachtet, keinesfalls verwerflich, sondern lediglich veraltet.

Im Lernverständnis der klassischen Konditionierung in der Ausbildung von Tieren und Menschen stellt sich die Frage des Mitdenkens noch nicht, folglich werden auch Denkprozesse selbst sowie Einflussfaktoren wie Stress als Denkblockade oder Aspekte des Fühlens ganz im Sinne des experimentell messbaren wissenschaftlichen Arbeitens nicht hinterfragt.

Burrhus Frederic Skinner und der Behaviorismus

Im von B. F. Skinner geprägten Lernmodell der instrumentellen und operanten Konditionierung wird die Reiz-Reaktions-Theorie des automatisierten Lernens um vom Trainer steuerbare Faktoren erweitert. In seiner vergleichenden Verhaltensbeobachtung (Behaviorismus) ermittelt er, wie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten Verhaltens beeinflusst werden kann. Der stellvertretende Reiz als Instrument und Motivation als verstärkender oder hemmender Operator sind bis heute Grundbegriffe der Lerntheorie.

John Paul Scott, John L. Fuller und die Genetik des Verhaltens

Nutztierzucht ist Leistungszucht, messbare Leistungsmerkmale bestimmen die Zuchtideale und – in der heutigen Zeit mehr denn je zuvor – den Marktwert. Eine Milchkuh produziert Milch, eine Henne legt Eier, möglichst viel davon in möglichst kurzer Zeit liefern, ist die groteske Aufgabe der Rassezucht.

Auch die Rassehundezucht basierte in ihren Anfängen auf dem – mit Maß und Bedacht sinnvollen – Gedanken der Kooperation als nutzbringendes Miteinander für Mensch und Tier, Zuchttiere wurden danach bewertet, inwieweit sie sich für ihre Aufgabe eigneten. Schützen, Hüten, Jagen, Gesellschaft leisten, niedlich und außergewöhnlich sein – die Ansprüche waren und sind so variabel wie die entstandenen Rassen. Jagdhunde sollten jagen, also waren sie für Zucht erst wertvoll, wenn sie Jagderfolge nachweisen konnten. Die Erprobung im praktischen Gebrauch stand im Vordergrund, war jedoch eine langwierige Angelegenheit.

Eine weitere Erkenntnis Pawlows, „Die Lehre von den Typen“, machte den Ansatz der genetischen Verhaltensveranlagung in wissenschaftlichen Kreisen salonfähig. In ihrer Studie „Genetics and Social Behavior of the Dogs“ erweiterten John Paul Scott und John L. Fuller die Verhaltensbeobachtungen nicht nur durch Zuchtversuche, sondern legten ihr Augenmerk auch auf selbstbestimmtes Lernen.

„The puppies easily transferred their basic motivational training from one test to another, and there was no indication that they were solving their problems by watching the experimenter instead of using their brains.“

(John Paul Scott und John L. FullerHund Zucht Genetik Verhalten Buch)

Gerald Hüther und die Intelligenz der kopflosen Küchenschabe

Spätestens seit der Beobachtung von Lernerfolgen an kopflosen Küchenschaben mussten die Gehirnforscher ihre Lerntheorien erheblich überarbeiten. Lernen ist auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht länger auf einen rein kognitiven Prozess abstrahierbar. Neben dem Gehirn als Sitz des Denkvermögens rückt die intuitive Intelligenz immer mehr ins Zentrum der Forschung.

Intuitiv wussten wir es wohl schon lange und haben nach dem Fühlen sogar eine eigene Wahrnehmungsgröße, den Tastsinn, benannt. Gefühl und Motivation bestimmen Lernerfolge weit mehr als die vorhandene Gehirnkapazität. Moderne Lernmodelle begreifen Lehren daher als moderierende FührungsaufgabeEmpathische Führung Buch, die Begeisterung weckt, gute Stimmung als Gefühl mit dem Lernumfeld verknüpft und eine positive Haltung des Lernen- und Erkunden-Wollens schafft. Der alleinige Fokus auf die Ressourcen des Gehirns hat den Blick auf das Potential des Lernerlebnisses in der ganzheitlichen Betrachtung versperrt.

Auch im Umgang mit unseren Hunden sollten wir diese Entwicklung zum Anlass nehmen umzudenken. Den Schlüssel zum Ausbildungserfolg finden wir im Lernumfeld, das wir als Tierhalter und Trainer gestalten.

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Renate Eberts | Züchter von und für Parson Russell Terrier
Nosy Nostril | Liebhaberzucht im Klub für Terrier e. V. (VDH / FCI)
Unsere Welpen des Nosy Nostril A-Wurfes wurden am 25.06.2016 geboren.